Traumatherapie

Was versteht man unter „Trauma“?

Ein Trauma ist ein Ereignis, das wir subjektiv als extrem bedrohlich erlebt haben und für das wir keine adäquaten Bewältigungsstrategien hatten, weil das Ereignis – gemäß Somatic Experiencing® – zu viel für uns gewesen ist oder zu schnell oder zu plötzlich passiert ist. Dabei muss nicht jede bedrohliche Situation oder jede seelische Verletzung zwangsläufig zu einem Trauma führen.

Welche Traumata gibt es?

Bei dem Begriff „Trauma“ denkt man vielleicht zuerst an tiefgreifende Ereignisse wie einen Unfall, einen Angriff oder eine Naturkatastrophe. Solche zeitlich klar abgegrenzten Ereignisse, die in sich abgeschlossen sind, bezeichnet man als „Schocktraumata“. Aber auch weniger drastische Erlebnisse wie eine Operation, ein Umzug oder eine Entlassung können ein Schocktrauma auslösen.

In der Folge können – kurz darauf oder auch noch nach Monaten – zum Beispiel folgende Symptome auftreten: starke Anspannung, Nervosität, Schlaflosigkeit, Alpträume, Flashbacks, Angstzustände, Vermeidung von möglichen Triggern, Orientierungslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit, Sinnlosigkeit oder psychosomatische Symptome.

Darüber hinaus gibt es aber auch seelische Verletzungen, die wir als Kinder erleben und die sich über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken. Bei diesen sogenannten Bindungs- und Entwicklungstraumata“ ist die Beziehung zu den Eltern und anderen engen Bezugspersonen ein entscheidender Faktor.

Peter Levine (SE: Somatic Experiencing) und Lawrence Heller (NARM: Neuroaffektives Beziehungsmodell) haben im Zusammenhang mit Trauma zwei wegweisende nicht-konfrontative und ressourcenorientierte Ansätze zur Behandlung traumatisierter Menschen entwickelt. Vor allem Lawrence Heller fokussiert sich in seinem Ansatz auf Bindungs- und Entwicklungstraumata, wobei er nicht zwischen beiden unterscheidet, weil Entstehung und Therapie jeweils ähnlich sind.

Der NARM-Ansatz

Wie entsteht ein Entwicklungstrauma?

Um sich gesund entwickeln zu können, brauchen Kinder eine sichere Bindung zu ihren Eltern oder nahen Bezugspersonen. Sie brauchen zum Beispiel das Gefühl, willkommen und geliebt zu sein – so, wie sie sind. Sie brauchen das Gefühl, einen festen Platz in der Familie zu haben und dazuzugehören. Und genauso brauchen sie auch Unterstützung, wenn sie beginnen, erste eigene Schritte zu gehen und ihre Autonomie zu entfalten.

Natürlich ist es Eltern gar nicht möglich, jederzeit zu hundert Prozent auf ihre Kinder einzugehen und immer alle Bedürfnisse zu erfüllen. Eltern sind ja auch bloß Menschen. Und sie haben ihre eigene Geschichte. Wenn wichtige Bedürfnisse allerdings grundsätzlich oder über einen längeren Zeitraum nicht erfüllt werden, kann sich dieses Erleben auf ein Kind traumatisierend auswirken. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn wir als Kind in einem sehr strengen, gefühlskalten oder leistungsorientierten Elternhaus aufwachsen, wenn wir vernachlässigt, direkt oder indirekt herabgesetzt, gedemütigt oder abgelehnt werden, körperlichen, seelischen oder sexuellen Missbrauch erfahren, einen schmerzlichen Verlust (z.B. Scheidung) erleben oder unsere Grenzen wiederholt überschritten werden.

Die innere Dynamik

Als Folge davon bleibt ein Teil von uns an dieser Stelle der Entwicklung stecken. Da wir als Kinder von unseren Eltern körperlich und emotional abhängig sind, tun wir alles – wirklich alles – dafür, um die Bindungsbeziehung zu ihnen aufrechtzuerhalten. Wir unterdrücken unsere eigenen Bedürfnisse und Impulse und verinnerlichen die direkten und indirekten Botschaften unserer Eltern. Diese Botschaften können zum Beispiel lauten: „Ich muss mich anstrengen, um geliebt zu werden“ oder „Andere gehen immer vor“. Sie enthalten Aussagen über uns selbst, unsere Beziehung zu anderen und die Welt da draußen und werden zu unseren Glaubenssätzen.

Aus diesen Überzeugungen wiederum entwickeln wir Bewältigungsstrategien, die unser Überleben sichern sollen und womöglich bis ins Erwachsenenalter weiter in uns wirken: Wir passen uns beispielsweise an, wollen ständig etwas beweisen oder versuchen unbewusst, andere zu manipulieren und zu kontrollieren. Letztlich schneiden wir auf diese Weise bestimmte Anteile von uns ab, schränken uns in unserer Lebendigkeit ein und entfalten nicht unser volles Potenzial. Solange wir an unseren Überlebensstrategien und Verhaltensmustern festhalten und mit unseren Glaubenssätzen identifiziert sind, bleiben wir klein, hilflos und unerfüllt.

Mögliche Symptome

Hinweise auf ein Entwicklungstrauma können zum Beispiel sein: chronische Übererregung und Anspannung, Selbstzweifel, geringer Selbstwert, mangelndes Selbstvertrauen, Unsicherheit, Ängste (z. B. Angst vor Nähe), diffuse Traurigkeit, Scham- und Schuldgefühle, nicht Nein sagen können, Narzissmus, kein Kontakt zu den eigenen Gefühlen und Körperempfindungen, Dissoziation, Hilflosigkeit, Resignation oder psychosomatische Symptome.

In der Abgrenzung zum Trauma, das aufgrund von traumatischen Erfahrungen entsteht, ist eine Neurose die Reaktion auf schwierige Erfahrungen. Je schwächer die Erfahrungen und je später sie erfolgen, desto weniger Symptome zeigen sich. Die Übergänge zwischen Neurose und Trauma sind fließend.

Was passiert bei einem Trauma im Körper?

Kommen wir in eine (subjektive) Gefahrensituation, hat unser Körper drei Notfallprogramme zur Auswahl: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Sind Kampf oder Flucht aussichtslos oder nicht möglich, verfällt der Körper in Erstarrung, ähnlich dem Totstellreflex bei Tieren.

Diese Einfrierreaktion ist typisch für Traumata. Kann sich die Überlebensenergie, die der Körper mobilisiert, um zu kämpfen oder zu fliehen, später nicht entladen, bleibt sie als Erregung im Nervensystem gebunden und signalisiert dem Körper weiterhin Gefahr und Alarmbereitschaft. Deshalb bleiben wir innerlich in der Gefahrensituation gefangen und verharren im Alarmzustand.

Da diese Reaktion vom Stammhirn und vom autonomen Nervensystem gesteuert wird, hat unser Verstand darauf also keinen willentlichen Einfluss. Bestimmte Ereignisse, Wörter, Bilder, Geräusche, Gerüche oder dergleichen können uns an ein traumatisches Erlebnis erinnern und starke Emotionen und kindliche Überlebensprogramme in uns triggern.

Der therapeutische Ansatz von NARM

Der NARM-Ansatz von Dr. Lawrence Heller ist eine ganzheitliche, ressourcenorientierte Methode. Dabei liegt der Fokus der Behandlung auf dem Hier und Jetzt, ohne dabei die biografische Arbeit außen vor zu lassen. In der Therapie geht es unter anderem darum, sich seine negativen Glaubenssätze und Überlebensstrategien bewusst zu machen und die Psychodynamik näher zu erforschen. Dabei kommen wir auch wieder in Kontakt mit unseren verdrängten Impulsen, Bedürfnissen und Gefühlen – also den Aspekten, von denen wir uns als Kinder aus Liebe zu unseren Eltern abgeschnitten haben.

Gleichzeitig taucht dabei unweigerlich in uns auch die existentielle kindliche Angst davor auf, die Bindung zu unseren Eltern oder Bezugspersonen zu verlieren. Der entscheidende Unterschied heute ist: Als Erwachsene sind wir nicht mehr von unseren Eltern oder Bezugspersonen abhängig. Deshalb ist es uns heute möglich, diese Angst und die damit verbundenen Gefühle von Trennung und Einsamkeit in uns zu halten und mitfühlend anzunehmen. Unsere alten Schutzmechanismen haben ausgedient, und wir können frei und selbstbestimmt neu entscheiden, wie wir in Zukunft mit unseren Bedürfnissen umgehen und unser Leben gestalten möchten. Durch diese innere Veränderung können sich unsere Glaubenssätze und Verhaltensmuster – dem NARM-Ansatz zufolge – auflösen und verlieren ihre Wirkung auf uns.